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Öffentliche Anhörung Kleinanlegerstrategie: Blutdrucksenkende Mittel zu empfehlen

Wie positioniert sich die Bundesregierung beim weiteren Gesetzgebungsverfahren zu dem umstrittenen Vorschlag der EU-Kommission zur Kleinanlegerstrategie (Retail Investment StrategyRIS)? Zum diesbezüglichen Antrag „Kapitalmarkt für Kleinanleger attraktiver machen“ (BT-Drucksache 20/9496) der Bundestagsfraktion der CDU/CSU (vgl. ‚vt‘ 08/24) fand am 21.02.2024 beim Finanzausschuss des Bundestages eine öffentliche Anhörung mit zehn Sachverständigen statt.

Hier trafen die von den jeweiligen Parteien als Experten berufenen Professoren, Verbändevertreter und Kommissionsdelegierte aufeinander, die sich zum Teil wechselseitig die Nachvollziehbarkeit der herangezogenen eigenen Studien absprachen. Es ging also recht munter zu in der gut 90-minütigen Anhörung.

Hier „zeigten sich Ökonomen (…) uneinig über ein Verbot von Provisionen für Banken und Versicherungen bei beratungsfreien Anlagen“, wie es eine Zusammenfassung des Deutschen Bundestages treffend darstellt. Wobei sich die diametralen Ansichten bei Weitem nicht nur auf beratungsfreie Anlagen erstreckten. Auf die bekannten Positionierungen der Vermittler-Berufsverbände vor Ort oder in Stellungnahmen gehen wir an dieser Stelle nicht ein, sondern schauen auf die von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie SPD als Sachverständige geladenen vermeintlichen oder sogenannten Verbraucherschützer.

Das Weiterlesen der dort geäußerten, teilweise weltfremden Aussagen müssen wir aber mit einem Warnhinweis versehen. Konsultieren Sie je nach Ihrem momentanen Befinden vorab einen Arzt oder nehmen Sie prophylaktisch blutdrucksenkende Präparate ein: Der von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als Sachverständiger berufene Prof. Dr. Steffen Sebastian, Inhaber des Lehrstuhls für Immobilienfinanzierung und Direktor am Center for Finance der Uni Regensburg, verkündete die These, dass „keine Beratung besser ist als eine schlechte Beratung“. Das mache substantielle Beträge aus, in Deutschland etwa jährlich (sagenhafte!) 100 Mrd. € bzw. 6.000 € für jeden Haushalt pro Jahr. Es sollte nicht die einzige hanebüchene Aussage des Professors bleiben.

„Der Begriff Unabhängigkeit sollte reserviert sein für die Honorarberatung“, forderte Lars Gatschke, Referent im vzbv-Team Finanzen, im Zusammenhang mit der Diskussion um eine von der Versicherungsbranche gewünschten Klarstellung, dass Versicherungsmakler nicht von Artikel 30 Absatz 5 IDD betroffen sind. Dass Versicherungsmakler per Gesetz und Rechtsprechung im Lager des Kunden stehen und dem Kunden/Mandanten eine Beratung und Vermittlung schulden, die unabhängig von Versicherungsunternehmen erfolgt, ignorieren die sogenannten Verbraucherschützer beharrlich. Unwissenheit, dass Versicherungsmakler keine Vertreter der Versicherer, sondern vom Kunden beauftragt und umfänglich dem Kunden verpflichtet sind – d. h. ‚im Lager des Kunden stehen‘ nach VVG und Sachwalter des Kunden nach BGH – wird beim vzbv wohl nicht vorliegen.

Was beim vzbv allerdings vorliegt, ist ein Bild vom völlig unmündigen Bürger. In seiner Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung vertritt der vzbv mit Bezug auf eine Studie die These: „Die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher verstehen das Konzept von Provisionen nicht. Die Offenlegung von Provisionen scheint keinen wesentlichen Beitrag zur informierten Entscheidung von Verbrauchern zu leisten.“

Obwohl es in zahlreichen Branchen Vertreter gibt, obwohl Verbraucher regelmäßig mit auf Provisionsbasis arbeitenden Vertretern zu tun haben, sind sie also zu dumm, um das „Konzept von Provisionen“ zu verstehen. Wenn dann selbst die Provisions-Offenlegung nicht hilft, dann muss eben ein Provisionsverbot eingeführt werden. Doch wenn dem Verbraucher die Wahl zwischen einer Beratung und Vermittlung auf Provisionsbasis oder auf Honorarbasis genommen wird, dann ist das nichts anderes als eine Entmündigung der Bürger.

„Das Provisionsverbot ist sowohl in den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich ein Erfolgsmodell. (…) Diese Erfolge wurden erzielt, ohne dass der Finanzmarkt gelitten hätte. Auch die Darstellung von massenhafter Ausgrenzung finanziell schwacher Verbraucherinnen und Verbrauchern lässt sich angesichts der Datenlage nicht halten“, behaupten die sogenannten Verbraucherschützer in ihrer Stellungnahme unter Verweis auf das vzbv-Positionspapier „Europäische Provisionsverbote und deutsche Fehldarstellungen“. Dem Versuch, Politikern Sand in die Augen zu streuen, sind wir aber bereits 2019 entgegengetreten (vgl. ‚vt‘ 04/19).

Das Positionspapier war offensichtlich eine eilige Reaktion darauf, dass der damalige BaFin-Präsident Felix Hufeld mit der Mär der überwiegend positiven Folgen des Provisionsverbotes in UK aufräumte. In einem ‚Spiegel’-Interview (‚Spiegel Online‘ 28.12.2018) sagte der BaFin-Chef (vgl. ‚vt‘ 03/19): „Jeder Berater muss den besten Kundennutzen im Blick haben. Ich muss allerdings immer ein wenig schmunzeln, wenn manche Lobbyisten die Beratung auf Honorarbasis als Lösung aller Probleme hinstellen. Man riskiert sozialpolitische Verwerfungen, wenn man provisionsbasierte Beratung verbietet. In Großbritannien hat man es versucht, mit einem erschreckenden Ergebnis: Denn es gibt deutliche Anzeichen, dass breite Bevölkerungsschichten seitdem von der Altersvorsorgeberatung faktisch abgeschnitten sind. Jemand, der wenig Geld hat, gibt einfach keine 150 oder 200 Pfund aus für einen Finanzberater – da können Sie predigen, so viel Sie wollen.“

Während der BaFin-Präsident sich zu Recht auf die Ergebnisse der statistischen Datenerhebung der britischen Aufsicht FCA verlassen konnte, will der vzbv diese in die eigene Ideologie nicht passenden Provisionsverbots-Folgen nicht wahrhaben, negiert die Erkenntnisse der FCA und behauptet dreist: „Die Erfolge dieser Reformen werden in Deutschland häufig falsch dargestellt.“

Provisionsverbots-Gegner würden argumentieren „Menschen mit nur wenig Geld können sich“ teure Finanzberatung „nicht leisten, also werden Kleinanleger von der Finanzberatung ausgeschlossen“ und „diesen vermeintlichen Ausschluss“ würden sie „gerne“ als „Beratungslücke“ bezeichnen. Jedoch handele es sich bei der „Beratungslücke“ um eine „Le­gende“. Demnach bezichtigte der vzbv damit auch die BaFin der Falschdarstellung und unterstellt ihr eine Beteiligung an einer Legendenstrickung (vgl. ‚vt‘ 35/23)!

Zurück zur Anhörung und Prof. Sebastian. Der hatte im Rahmen der Studie „Die Auswirkungen von Provisionsverboten auf das Vermögen der Haushalte: Erkenntnisse aus OECD-Ländern“ die Auswirkungen von Provisionsverboten für Finanzberater auf die Vermögensbildung von privaten Haushalten untersucht. Eine Studie, die vielfach inhaltlich und methodisch kritisiert wurde. Die professoralen Studien-Merkwürdigkeiten haben wir im zweiteiligen Spezial „Provisionsverbot: Was sagen die OECD-Daten wirklich?“ (vgl. Beilage zu ‚vt‘ 20 und 21/23) entlarvt mit dem Fazit: „Nach unserer Auffassung und Sichtung der OECD-Daten werden die Behauptungen der Studie erreicht mit für uns intransparenten statistischen Modifikationen, die zudem die Aussagekraft deutlich einschränken.“

Auch Prof. Dr. Matthias Beenken von der Fachhochschule Dortmund kritisiert die Studie deutlich (vgl. ‚vt‘ 17/23): „Abgesehen von der begrenzten Aussagefähigkeit der sehr wenigen Länder mit Provisionsverbot fehlt ein entscheidender Faktor in der Analyse: Die Kosten der Beratung. Wie so oft in Beiträgen, in denen die Vorteilhaftigkeit der Honorarberatung bewiesen werden soll, wird ein Vergleich ‚Brutto‘ mit ‚Netto‘ oder ‚Äpfel‘ mit ‚Birnen‘ durchgeführt. Dabei sind die laufenden, aber externalisierten Kosten der Beratung und Betreuung des Anlage­vermögens auch in Provisionsverbotsländern nicht zu unterschätzen.“

Ungeachtet der fundierten Kritik verwies Prof. Sebastian auf seine ‚Studien‘, denen zufolge insbesondere Sparer mit kleinen und mittleren Einkommen von einer Regulierung der Provisionen im Finanzvertrieb profitieren und nannte eine Erhöhung des Ertrags von 2 %. „Ein marktwirtschaftlicher Ansatz wird immer ein Provisionsverbot begünstigen“, behauptete der Professor.

Eine Sichtweise, die auch die Vertreterin der EU-Kommission, Dr. Andrea Liesenfeld von der Ge­neraldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion, teilte. Die Kosten in Deutschland seien derzeit höher als in anderen Ländern, in denen bereits ein Provisionsverbot bestehe. Als Positiv-Beispiele wurden die Niederlande und UK genannt.

„Das Provisionsverbot führt zu niedrige­ren Kosten und damit zu höheren Renditen für den Kleinanleger“, hieß es von der Kommissions-Vertreterin trotz der von der FCA quasi amtlich bescheinigten Beratungslücke und ebenfalls ‚übersehend‘, dass die niedrigeren Kosten einer Milchmädchen-Rechnung entspringen. Denn den höheren Renditen durch niedrigere Kosten stehen die nicht eingepreisten Kosten für das Beratungshonorar entgegen. 

MdB Dr. Carsten Brodesser (CDU), Mitglied im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, befragte als Unionsvertreter fachkundig die Experten. Zudem verwies er auf eine klare Aussage der FCA, die Mitglieder des Finanzausschusses bei einem Besuch der britischen Aufsichtsbehörden vor einem Jahr erhalten haben: „Uns wurde unmissverständlich klargemacht, dass es eine Beratungslücke in Großbritannien gibt. Es wurde explizit formuliert, dass gerade bei Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen es zu drastischen Rückgängen gekommen ist bei der Inanspruchnahme einer Finanzanlagenberatung.“

Dr. Brodesser fasst zusammen: „Die Anhörung hat leider die rot-grünen Vorbehalte gegen den Berufsstand der Anlage- und Vermittlerbranche unterstrichen. Zitate von Sachverständigen wie ‚lieber keine Beratung, als schlechte Beratung‘ diskreditieren eine ganze Branche. Die Verbotsagenda soll nach den Vorstellungen der rot/grünen Fraktionen mit einem schnellen kompletten Provisionsverbot im Sinne der vermeintlichen Verbraucherschützer vorangetrieben werden. Die vielen regulatorischen Vorgaben sowie Schulungs- und Fortbildungsmaßnahmen der Branche im Sinne der Verbraucher wurden völlig ignoriert. Dabei bleibt nach unserer Auffassung der mündige Verbraucher, der selber entscheiden kann und soll, und die Angebotsvielfalt auf der Strecke. Staatsfondsvorstellungen lehnen wir strikt ab.“

‚vt‘-Fazit: Scherzhaft könnte man sagen, gemessen an der vzbv-Ideologie reiht sich Dr. Brodesser zusammen mit der FCA in die Reihe der Beratungslücke-Falschdarsteller ein. Lustig ging es allerdings bei der Anhörung nicht zu, vielmehr wurde auch mit unfeinen Mitteln gekämpft. So bezeichnete Prof. Sebastian eine BVI-Studie zu den Provisionsverbots-Folgen als „in wissenschaftlicher Hinsicht nicht haltbar“ (s. nachfolgenden Bericht).

Während jede Fraktion ihre Sichtweise durch die von ihr berufenen Experten bestätigt sehen dürfte, wird es, zunächst hinter den Kulissen, beim Einwirken der Bundesregierung auf die Kleinanlegestrategie wohl auf die Standhaftigkeit der FDP ankommen, die bei der Anhörung jedenfalls durch Finanzausschussmitglied Anja Schulz kompetent vertreten wurde.

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