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Bundesregierung: Weder Erkenntnisse zu systematisch unvorteilhafter Provisions-Beratung noch zu Folgen eines Provisionsverbotes für Verbraucher

Die Fraktion der CDU/CSU hatte mit der Kleinen Anfrage „Drohendes EU-Verbot provisionsbasierter Anlageberatung“ (BT-Drucksache 20/5487) der Bundesregierung (BuReg) einige knackige Fragen zu dem von der EU-Kommission in den Raum gestellten Provisionsverbot („Unerwünschte Entscheidung der Anleger: EU auf Verbraucher-Entmündigungs-Kurs“; vgl. ‚vt‘ 03/23) auf den Tisch gelegt („Union stellt Bundesregierung Provisionsverbots-Fragen“ ; vgl. ‚vt‘ 07/23).

Der aktuellen Antwort namens der BuReg durch das Bundesfinanzministerium lässt sich entnehmen, dass ein Provisionsverbot hinsichtlich der Folgen für die Entwicklung der privaten Altersvorsorge und der Investitionstätigkeit von Kleinanlegern einem Blindflug gleichkäme. Und dies obendrein ohne jeglichen sachlichen Grund für ein Provisionsverbot, denn der antwortende Dr. Florian Toncar, Parlamentarischer Staatssekretär im BMF, bekräftigt, dass weder der BuReg noch der BaFin eigene Erkenntnisse für den deutschen Markt vorliegen, dass Provisionen systematisch zu einer für Verbraucher unvorteilhaften Beratung führen.

Festzuhalten ist, dass die Provisionsverbotsdiskussion auf europäischer Ebene von Mairead McGuinness, EU-Kommissarin für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und Kapitalmarktunion, angeschoben wurde. Weder die BaFin noch das FDP-geführte BMF, Bundesfinanzminister Christian Lindner oder Dr. Florian Toncar haben sich für ein Provisionsverbot, das auch nicht im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, ausgesprochen – im Gegenteil. Ebenso hatte sich Markus Ferber (CSU), Abgeordneter des Europäischen Parlaments (Fraktion der Europäischen Volkspartei), gegen ein Provisionsverbot ausgesprochen und im Gespräch mit der ‚vt‘-Redaktion kritisiert (vgl. ‚vt‘ 03/23): „Wenn die Kommission ein Provisionsverbot vorschlägt, erweist sie den Kleinanlegern damit einen Bärendienst.“

Zurück zu der 34 Fragen umfassenden Kleinen Anfrage des Abgeordneten Friedrich Merz u. a. und der Fraktion CDU/CSU. Auf die Frage „Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, wie sich ein mögliches Verbot provisionsgestützter Anlageberatung auf die Entwicklung der privaten Altersvorsorge bei Kleinanlegern und Anlegern aus dem Niedriglohnsektor in Deutschland auswirken würde, und wenn ja, welche?“ lautet die Antwort: „Gesicherte Erkenntnisse zur möglichen Entwicklung der privaten Altersvorsorge in Deutschland im Falle eines hypothetischen Verbots einer provisionsgestützten Beratung liegen der Bundesregierung derzeit nicht vor.“

Des Weiteren wurde die BuReg zu Erkenntnissen befragt, „nach denen die Provisionen in Deutschland systematisch zu einer für den Verbraucher unvorteilhaften Beratung führen“. Auch diese wurden verneint, „der Bundesregierung liegen, ebenso wie der BaFin, keine entsprechenden eigenen Erkenntnisse für den deutschen Markt vor“. Demnach will die EU-Kommission gesetzliche Regelungen vorschreiben, die mindestens in Deutschland, wahrscheinlich auch in vielen anderen EU-Ländern am Bedarf nicht nur vorbei gehen, sondern für Wirtschaft und Verbraucher schädlich sind.

„Gesetze regeln und ordnen rechtsverbindlich das Zusammenleben einer Gemeinschaft! Sie müssen notwendig sein und der Allgemeinheit dienen. Wenn ich, wie im vorliegenden Fall die Antworten belegen, mir weder über die Notwendigkeit im Klaren bin noch über die daraus resultierenden negativen Folgen für eine breite Allgemeinheit, ist das grundlegende Ziel verfehlt“, kritisiert Frank Kettnaker, Vorstand Vertrieb und Marketing Alte Leipziger Lebensversicherung a.G. und Hallesche Krankenversicherung a.G., die EU-Bestrebungen.

Zu zahlreichen weiteren Fragen, u. a. der Positionierung der BuReg zum Provisionsverbots-Vorschlag der EU-Kommissarin McGuinness, wird auf eine „noch nicht abgeschlossene Meinungsbildung“ verwiesen: „Die Bundesregierung wird im Lichte der zu erwartenden Vorschläge der Europäischen Kommission hierüber entscheiden.“

Dem Werturteil der EU-Kommissarin, die in Deutschland übliche provisionsbasierte Beratung und Vermittlung despektierlich als „anreizbasierten Vertrieb“ zu bezeichnen, tritt die BuReg entgegen: „Es ist aus Sicht der Bundesregierung zutreffend, dass die provisionsbasierte Anlage- und Versicherungsberatung und -vermittlung die in Deutschland in diesem Bereich vorherrschende Form der Beratung und -vermittlung ist. Hieraus ergibt sich jedoch keine Aussage darüber, ob eine solche Beratung für einen Kunden nachteilig ist, insbesondere dann, wenn die bestehenden anlegerschützenden Vorgaben eingehalten werden.“

Eine Beratung und Vermittlung auf Provisionsbasis ist nicht nachteilig für den Verbraucher, im Gegenteil, Beratung hat einen Wert, betont Markus Drews, Managing Director Canada Life Europe: „Ein über Jahrzehnte bewährtes System wird bereits seit einigen Jahren von einzelnen Kritikern angegriffen. Leider haben sie sich dabei Teile der Politik zum Instrument ihrer Argumentation machen können. Beim Durchlesen der fundierten Fragen der kleinen Anfrage der Union und der Antworten der Bundesregierung darauf wird deutlich, wie wenig Substanz eine Generalkritik am Provisionssystem hat. Würde man sich stattdessen darauf konzentrieren, die tatsächlichen – und falls überhaupt vorhandenen – Missstände entschlossen anzugehen, dann wäre allen Beteiligten geholfen. Wir sollten noch viel deutlicher den Wert der Beratung hervorheben, denn der geht deutlich über die Dauer des eigentlichen Abschlusses eines Vertrages hinaus. Dass es in diesem für viele Verbraucher schwierigen finanziellen Umfeld nicht zu einer Kündigungswelle wertvoller Vorsorgeverträge gekommen ist, ist das Ergebnis professioneller Beratung durch die Branche. Und es ist der Verdienst all der Vermittler, die auch dann partnerschaftlich an der Seite ihrer Kunden stehen.“

Auch die Erkenntnisse aus dem niederländischen Provisionsverbot wurden thematisiert. „Die Beobachtungen für den niederländischen Markt nach Einführung eines Zuwendungsverbots können nicht unmittelbar auf den deutschen Markt übertragen werden. Dies folgt nicht zuletzt aus strukturellen Unterschieden im System der Altersvorsorge. Des Weiteren können die Beobachtungen aus den Niederlanden unterschiedlich interpretiert und bewertet werden“, differenziert die BuReg genau und gibt zu bedenken: „Beispielsweise kann der dort nach Informationen der BaFin zu beobachtende Anstieg des beratungsfreien Geschäfts (einschließlich reinem Ausführungsgeschäft, sog. Execution-only) aus Sicht des Verbraucherschutzes durchaus kritisch gesehen werden, da es regulatorisch ein niedrigeres Schutzniveau bietet und deshalb ein besonderes Maß an Finanzkompetenz voraussetzt.“

Dietmar Bläsing, Sprecher der Vorstände der VOLKSWOHL BUND Versicherungen, bricht eine Lanze für Versicherungsmakler und persönliche Beratung: „Bei der Diskussion um die provisionsbasierte Beratung wird die fachliche Leistung der Versicherungsmakler und freien Vermittler leider immer wieder auf einen reinen Produktverkauf reduziert. In Wahrheit geht es aber vielmehr um die Abfrage der echten Bedarfe und der individuellen Priorisierungen bei den Kunden. Wer Menschen bei der Absicherung existenzieller Risiken mit Absicht in eine Do it yourself-Versorgung treibt, begeht meiner Ansicht nach einen schweren Fehler, denn für die Beratungsversäumnisse von heute werden diese Menschen in Zukunft möglicherweise teuer bezahlen. Insofern finde ich gut, dass die Bundesregierung in ihrer Antwort deutlich macht, dass sie ebenfalls Grenzen beim ‚Robo-Advice‘ und anderen Do it yourself-Alternativen sieht.

Weiterhin wurde die BuReg zu Schlussfolgerungen „aus den Erfahrungen nach dem Provisionsverbot seit dem Jahr 2013 aus dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland, die aus den sogenannten ‚Retail Investments Product Sales Data‘ hervorgehen (statistische Datenerhebung der britischen Aufsicht FCA, Brancheninformationsdienst ‚versicherungstip‘, https://www.kapital-markt-intern.de/versicherungstip/aktuelle-themen/vt-aktuelle-themen/aktuellste-datenerhebung-nach-provisionsverbot-klafft-beratungsluecke-in-uk-weiter/)“ befragt. Diese Informationen habe die BuReg zur Kenntnis genommen und werde „die Ergebnisse, soweit die Erkenntnisse auf den deutschen Markt übertragbar sind, im Rahmen ihrer Positionierung berücksichtigen“.

Für den CDU-Finanzexperten MdB Dr. Carsten Brodesser ist in der Gesamtbetrachtung „die Antwort der Bundesregierung leider nicht zufriedenstellend, da sie, wie so oft, viele Fragen offen lässt. Dennoch gibt es auch manche klaren Aussagen. Sie ist ebenso wie wir der Auffassung, dass grundsätzlich jeder Kleinanleger Zugang zu einer persönlichen Beratung haben sollte. Auch der Bundesregierung liegen keine Kenntnisse vor, dass Provisionen in Deutschland zu einer für Verbraucher systematisch unvorteilhaften Beratung führen. Und sie hält fest, dass sowohl Honorar- als auch Provisionsberatung Vor- und Nachteile bereithalten. Dass sich die Bundesregierung auf Basis dieser Erkenntnisse noch nicht einmal der Forderung nach einem Nebeneinander von Honorar- und Provisionsberatung anschließen kann und ein Provisionsverbot nicht klar ablehnt, zeigt einmal mehr die Zerstrittenheit der Ampel auch in dieser Frage.“

Die Bundesarbeitsgemeinschaft zur Förderung der Versicherungsmakler (BFV) begrüßt, dass „die Bundesregierung Wert darauf legt, dass jeder Kleinanleger Zugang zu einer persönlichen Beratung hat. Das lässt sich mit einem Provisionsverbot nicht vereinbaren. Die Beratung und Vermittlung gegen Provision ist etabliert und funktioniert, wird vom Verbraucher angenommen, eine systematisch damit einhergehende unvorteilhafte Beratung für den Verbraucher ist nicht bekannt, negative Entwicklungen für Kleinanleger in Provisionsverbotsländern dagegen sind belegt. Sachliche Argumente für ein Provisionsverbot liegen nicht vor“, sagt BFV-Koordinator Erwin Hausen. „Wir hoffen, dass die EU-Kommissarin McGuinness diese Haltung der Bundesregierung zu Kenntnis nimmt und die Provisionsverbotsüberlegungen auch auf europäischer Ebene eingestellt werden“, so Hausen.

‚vt‘-Fazit: Nach unserer Lesart zeigt sich klar, was das antwortgebende FDP-geführte BMF von einem Provisionsverbot hält. Zugleich erfolgt in einigen Punkten keine abschließende Festlegung, was wohl mit Rücksicht auf die Ampel-Konstellation erfolgt. Am Ende des Tages bedarf es aber einer unmissverständlichen Positionierung der Bundesregierung gegen die ideologischen EU-Kommissionspläne. Dazu werden wir gemeinsam mit der von ‚vt‘ koordinierten BFV weiterhin sachliche Argumente liefern.

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